"Geflügelte Worte" aus dem Recht

Dr. iur. Harald Maihold



Der folgende Beitrag wurde im Februar 2021 für den dichter-treffen-Blog verfasst.

Von der Freiheit der Gedanken

"Die Gedanken sind frei" - Dieses bekannte Volkslied findet sich unter dem Titel „Lied des Verfolgten im Turm“ in Des Knaben Wunderhorn (3. Teil, 1806/07), wo es zu einem Zwiegespräch zwischen einem Gefangenen und einem Mädchen erweitert wurde. Die heute gebräuchliche Fassung erschien 1842 in einer Sammlung Schlesischer Volkslieder und beflügelte nicht nur die freien Gedanken, sondern auch den politischen Vormärz. Der Text stammt von keinem Geringeren als dem Schöpfer der deutschen Nationalhymne, Hoffmann von Fallersleben. In schweren politischen Zeiten wurde das Lied zur Hymne für Meinungsfreiheit und gegen staatliche Überwachung.

Im 13. Jahrhundert dagegen begegnet uns das Sprichwort in der Minnedichtung in ganz anderem Zusammenhang: Walther von der Vogelweide wendet sich mit den Worten an eine schöne Frau, mit seinem Begehren werde er ihr nicht schaden, denn Gedanken seien ja frei:“ Frouwe, ir sît schoene und sît ouch wert: (…) / waz schadet iu daz man iuwer gert? / joch sint iedoch gedanke frî.“ (Der keiser als spileman, 11, 13-14). Hier kann man schon den ursprünglichen Zusammenhang erahnen. Das Sprichwort kommt aus dem römischen Recht: „Cogitationis poenam nemo patitur.“ heißt es bei dem klassischen Juristen Ulpian (Dig. 48, 19, 18), und ganz ähnlich in einer Rede Ciceros (Pro Milione, XXIX, 79): „Liberae sunt (…) nostrae cogitationes.“ Der bloße Gedanke oder subjektive Wille ist straffrei, solange ihm nicht die Tatausführung, der „objektivierte Wille“ folgt. Noch heute ist nicht der Wille oder die Gesinnung, sondern erst der Beginn der Tatausführung unter Strafe gestellt. Dem folgen weitere Rechtssprichwörter: „Schweigen und Denken tut niemand kränken.“ Oder „Fürs Denken kann man niemand henken“. Die Gedanken sind also frei – auch zollfrei, allerdings (wie man im Kontext der Beichtjurisprudenz hinzufügte) nicht höllenfrei.

Aus der strafrechtlichen Zurechnung kommt übrigens auch der Spruch „Mitgegangen, mitgefangen“, oder „Mitgefangen, mitgehangen“: Wer als Mittäter bei einem Aufruhr dabei ist, wird mit den Rädelsführern aufgehängt.

So wie diese Beispiele, haben auch viele andere Redewendungen, die heute im Alltag gebräuchlich sind, ihren ursprünglichen Kontext im juristischen Verfahren, häufig in der Strafjustiz früherer Zeiten. Manchmal ist das offensichtlich, zum Beispiel bei dem Spruch „Wo kein Kläger, da kein Richter“, oder wenn Leute „auf die Folter gespannt“, „an den Pranger gestellt“ oder ihnen „die Daumenschrauben angelegt“ werden. Wer sich „um Kopf und Kragen redet“, riskiert offensichtlich eine Strafe nach der Halsgerichtsordnung, denn danach geht es ihm „an den Kragen“ (= Hals). Andere Redewendungen lassen ihre rechtliche Herkunft heute nicht mehr so klar erkennen. „Land und Leute“ bezeichneten die Lebens- und Rechtsgemeinschaft, der der Lehnsherr „Schutz und Schirm“ schuldete. Wer „mit Kind und Kegel“ unterwegs war, zog mit ehelichen und unehelichen Kindern umher. „Feuer und Flamme“ war der neue Hausbesitzer, der den Herd anzündete, nachdem der frühere Besitzer das Feuer gelöscht hatte. Zum Haus gehörte alles, was „niet- und nagelfest“ war; alles andere durfte der alte Besitzer mitnehmen.

Vom Zählen

Wer schon zwei Stück Torte gegessen hat, bedient sich gern des Spruches „Aller guten Dinge sind drei“, bevor er ein drittes Stück auf dem Teller platziert. Ursprünglich gemeint sind jedoch die Ladungen zum Gericht. Als „Ding“ (germanisch „Thing“) bezeichnete man nicht nur die Gerichtsstätte, sondern auch die einzelne Rechtssache oder den gerichtlichen Termin. Anders als heute konnte der Kläger im Mittelalter erst nach der dritten Ladung sicher sein, dass das Nichterscheinen des Beklagten Konsequenzen hatte. Zweimal konnte der Geladene ausbleiben, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Aber „zum dritten Mal gewinnt oder verliert man“.

Auch sonst wurde vor Gericht gerne gezählt. „Einmal ist keinmal“ (Unus actus nullus actus) ist ursprünglich keine Einladung zum Sündigen, sondern bedeutet, dass man vor Gericht aus einem Einzelfall noch kein Recht ableiten kann. Die dörflichen Ding-Gerichte urteilten nicht nach kodifizierten Gesetzestexten, sondern nach Brauch und Herkommen. Denn „aus Gewohnheit wird zuletzt Recht“. Um eine rechtlich belastbare Sitte zu begründen, war aber eine längere Übung erforderlich. Andererseits bedeuteten, wie Johannes Agricola 1548 in seiner Sprichwörtersammlung anführte, „hundert Jahre Unrecht noch keine Stunde Recht“. Und „Ausnahmen bestätigen die Regel“ (Exceptio firmat regulam), weiß Nicolaus Everardi 1613 in seinen Loci argumentorum legales zu berichten – ein Hinweis auf die enorme Rechtsunsicherheit, die die verschiedenen sich ergänzenden und miteinander konkurrierenden Rechtsregime in der Frühen Neuzeit mit sich brachten.

„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, weiß dagegen der Sachsenspiegel (Landrecht II, 59), eine von Eike von Repgow verfasste Sammlung des sächsischen Gewohnheitsrechts aus dem 13. Jahrhundert, und regelte damit an der Mühle das Mahlrecht der Bauern untereinander. Ähnliches galt beim Überqueren einer Straße oder einer Brücke. Im römisch-kanonischen Recht hieß es ebenfalls „Qui prior est tempore, potior est jure.“ (Caracalla, Cod. Just. 8, 17 3; Bonifaz VIII., Liber sextus 5, 13, 54): Das Pfandrecht, das zeitlich zuerst entstand, geht späteren Pfandrechten vor.

Das Prioritätsprinzip galt zum Teil auch bei der Erbfolge. Auch für kinderreiche Bauern galt: „Der Bauer hat nur ein Kind.“ Man hörte einfach bei eins auf zu zählen. „Haus und Hof“, alles ging an den Ältesten, damit die Landwirtschaft Fortbestand hatte. Ansonsten wurde bei gleichem Recht geteilt, wobei hier natürlich Streitigkeiten vorprogrammiert waren. „Der Ältere teile, der Jüngere kiese (wähle)“, heißt es deshalb im Sachsenspiegel. Dem Älteren traute man eher zu, die Erbmasse gerecht aufzuteilen. Der Jüngere hatte dann die „Qual der Wahl“. Und wer bei einer Erbschaft leer ausgegangen war, musste sich halt „seinen Teil denken“.

Vom Glauben und Schenken

„Wo einer seinen Glauben gelassen hat, da muss er ihn wieder suchen.“ Dieses Sprichwort hat nichts mit dem Glauben im religiösen Sinn zu tun, sondern es geht um den Gläubiger im Zivilrecht. Während der Eigentümer einer Sache diese heute, wie schon nach römischem Recht, von jedermann zurückverlangen kann, galt nach dem deutschen mittelalterlichen Recht der Grundsatz „Hand wahre Hand“: Wer eine Sache verliehen hatte, konnte sie nur vom Entleiher wieder zurückfordern.

Die Rede vom „geschenkten Gaul“, dem man nicht ins Maul schauen soll, zeigt noch deutlich ihren rechtlichen Zusammenhang: Bei unentgeltlichen Geschäften wie der Schenkung soll das für das Kaufrecht entwickelte Sachmangelgewährleistungsrecht nur eingeschränkt anwendbar sein. Bei einem Pferdekauf war es üblich, das Alter und den Zustand des Pferdes nach dem Gebiss zu beurteilen.

Vom Antworten

„Keine Antwort ist auch eine Antwort.“ So sagen wir gern, wenn uns eine drängende Frage nicht beantwortet wird. Statt weiter nachzufragen, denken wir uns dann unseren Teil. Das „(Ver)Antworten“ bezieht sich ursprünglich, wie viele heutige Redewendungen, auf einen Kontext vor Gericht. Der Wille kann vor Gericht auch durch Schweigen auf eine Frage erklärt werden, auf die man hätte antworten können und müssen. „Qui tacet, consentire videtur“, heißt die entsprechende lateinische Rechtsregel, in diesem Fall erlassen von Papst Bonifaz VIII. (Liber sextus 5, 13, 43), der sie seinerseits wohl von dem römischen Juristen Ulpian abgeschrieben hat (Dig. 19, 2, 13), der im 3. Jahrhundert nach Christus wiederum ältere klassische Autoren wiedergegeben haben mag.

„Ein Mann, ein Wort.“ kommt ebenfalls aus dem gerichtlichen Verfahren. Es ist eine Zusicherung an den Beklagten und eine Warnung an den Kläger, dass auf den klägerischen Vortrag auch „der andere Teil gehört“ werde. Vor Gericht standen sich Kläger und Beklagter gegenüber. Ohne ein Geständnis oder zwei Augenzeugen hatte jeder zum „Beweis“ seiner Behauptungen nur „ein Wort“. Stand „Wort gegen (Ant)Wort“, kam es zum Eid auf die Reliquie, und dabei galt, dass des „Mannes Wort seine Ehre“ sei. Um den Rechtsstreit nicht zu verlieren und am Ende wegen Verleumdung noch eine Buße zahlen zu müssen, brachte der Kläger sogenannte Eideshelfer oder Leumundszeugen mit, die angeben konnten, dass es sich bei dem Kläger um einen rechtschaffenen Mann handelte. Der Beklagte konnte sich entsprechend verteidigen, allerdings machte man eine Einschränkung: Konnte der Kläger sechs Eideshelfer beibringen, wurde der Beklagte „übersiebnet“ und verlor den Rechtsstreit. Eine andere Möglichkeit, den Streit zu entscheiden, war das Gottesurteil (Ordal), das in einem Zweikampf oder im Losverfahren bestehen konnte. Der Beklagte konnte damit „los und ledig“ werden.

Wer „etwas auf die lange Bank schiebt“, der sorgte übrigens dafür, dass seine Akte in einer der Truhen unter der Richterbank landete. Deren Bearbeitung erfolgte, wenn gerade Zeit war. Wer es dagegen eilig hatte, sorgte dafür, dass „alles auf den Tisch “ kam.

Vom Radebrechen

Mit dem „Radebrechen“ bezeichnen wir seit dem 17. Jahrhundert einen quälenden, verstümmelnden Umgang mit der Sprache, in Anlehnung an eine andere Art der Verstümmelung, die im Strafverfahren des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit üblich war. Auch wenn wir heute nach einem anstrengenden Tag oder einer schlaflosen Nacht sagen, wir fühlten uns „wie gerädert“, deutet dies auf die vormoderne Strafjustiz hin. Um das Verbrechen symbolisch oder mystisch aufzuheben, hatten Strafen damals oft spiegelnden Charakter. Dem Dieb wurde die Hand abgeschlagen, dem Meineidigen schnitt man die Zunge heraus, und der Brandstifter landete auf dem Scheiterhaufen. Das Rad war die Strafe für Straßenräuber und Raubmörder, die zwischen den Karren herumliefen. Der Scharfrichter ließ das Rad auf den angebundenen Delinquenten fallen und brach ihm auf diese Weise alle Bein- und Armknochen. Der Missetäter wurde dann „auf das Rad geflochten“. Das Rad wurde aufgerichtet und zur Abschreckung stehen gelassen. Sofern nicht der „Gnadenstoß“ erfolgte, starb der Täter einen qualvollen und langsamen Tod und wurde zum Fraß für die Raben.


Weiterführende Literatur: Ruth Schmidt-Wiegand (Hg.), Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, C.H. Beck, München 1996